Adhärenz als Patientenentscheidung, 212 Seiten, 45 Abbildungen

Exposé

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Das Buch erscheint im Januar. Sie können aber per Mail das aktuelle Manuskript anfordern. Ich stelle es Ihnen kostenlos zur Verfügung. 

Einleitung

Adhärenz steht für das Ausmaß der Einhaltung der gemeinsam von Patient und Behandler gesetzten Therapieziele im Rahmen des Behandlungsprozesses. 

Nonadhärenz führt nicht nur zu vermehrten Komplikationen und zu einer erhöhten Mortalität[1], sondern ist auch ein erheblicher Kostenfaktor. Im Jahr 2013 hat die Ärzte Zeitung mangelnde Adhärenz in einem redaktionellen Beitrag als Milliardengrab bezeichnet. Das Einsparpotenzial bei den direkten Gesundheitsausgaben wurde darin auf 19 Milliarden Euro geschätzt; die indirekten Kosten (Produktivitätsverluste etc.) dürften mehr als doppelt so hoch sein[2].

Mangelnde Adhärenz wurde von Kato et al. in der Publikation einer Adhärenzstudie als „das bestdokumentierte, aber am wenigsten verstandene gesundheitsbezogene Verhalten“ bezeichnet[3]. Was meiner Meinung nach bisher für das Verständnis von Nonadhärenz in der Literatur zu wenig Beachtung fand, ist die sogenannte Prospect-Theorie, die 1979 erstmals formuliert und von den Psychologen Daniel Kahneman und Amos Tversky weiterentwickelt und bekannt gemacht wurde. Kahneman hat dafür im Jahr 2002 den Nobelpreis für Ökonomie erhalten (sein Kollege Tversky war inzwischen verstorben). 

Die Prospect-Theorie hat das lange vorherrschende Weltbild der Ökonomie vom Homo Oeconomicus als rational entscheidendem Nutzenmaximierer ins Wanken gebracht. Sie erklärt, warum sich Menschen oftmals irrational verhalten. Deshalb bietet sie auch ein Erklärungsansatz für Entscheidungen von Patienten, ein Medikament eigenmächtig abzusetzen oder gar nicht erst einzunehmen. Dieses Verständnis ist die Voraussetzung effektiverer Ansätze zur Verbesserung der Adhärenz. 

Darum geht es in meinem neuen Buch „Adhärenz als Patientenentscheidung“, das ich in diesem Exposé vorstelle. 

Kapitel 1: Ein Erklärungsmodell für Non-Adhärenz

Basis meines Buches sind meine langjährige Auseinandersetzung mit der Prospect-Theorie und Interviews, die ich in den Jahren 2021 und 2022 mit Patienten geführt habe. Alle Interviewpartner hatten eines gemeinsam: Sie haben Entscheidungen getroffen haben, die sie hinterher bereut haben. Mein Fazit aus diesen Interviews ist: 

Die Hauptursache für die Nichteinnahme eines rezeptierten Arzneimittels, dessen Absetzen oder die Änderung des Dosierungsschemas sind kognitive Verzerrungen bei der Wahrnehmung und Verarbeitung von entscheidungsrelevanten Informationen.

Auch wenn der Umgang mit einem verschriebenen Arzneimittel nur ein Teilaspekt der Adhärenz ist, so steht dieser Aspekt doch im Mittelpunkt meines Buches. 

In einem Beitrag für die Zeitschrift „Academy of Medicine“[4] schreibt der kanadische Intensivmediziner Pat Croskerry über kognitive Verzerrungen: 

„Die kognitive Revolution in der Psychologie, die in den letzten 30 Jahren stattfand, führte zu einer umfangreichen empirischen Literatur über kognitive Verzerrungen bei der Entscheidungsfindung. Aber diese Erkenntnisse finden nur langsam Beachtung in der Medizin …“

Das war im Jahr 2003. Dass Croskarrys Zitat auch heute noch aktuell ist, zeigt z. B. eine Literaturrecherche aus dem Jahr 2016. Demnach sind ein bis zwei Drittel der diagnostischen Ungenauigkeiten auf kognitive Verzerrungen im Denken der Untersucher zurückzuführen[5]. Das Patientensicherheitsnetzwerk des US-Gesundheitsministeriums schätzt, dass etwa 75% der Diagnosefehler eine kognitive Komponente haben[6].

Insofern ist es nicht verwunderlich, dass das Thema „kognitive Verzerrungen“ auch im Bereich Adhärenz bisher kaum Berücksichtigung fand. Worauf Croskerry mit seinem Zitat abzielt, ist die bereits eingangs erwähnte Prospect-Theorie. 

Die Prospect-Theorie berücksichtigt, dass Entscheidungen immer von subjektiven Wahrnehmungen, dem Weltbild der Entscheider und von Emotionen beeinflusst werden. Deshalb können mit ihrer Hilfe Verhaltensanomalien erklärt werden, d. h. Verhaltensweisen, die aus Sicht eines objektiven Beobachters nicht der Vorstellung einer rationalen Entscheidungen entsprechen.

Eines der Fundamente der Prospect-Theorie ist die sogenannte „Verlustaversion“. Dieses Phänomen besagt, dass sich Menschen über einen Verlust (von z. B. 100 Euro) doppelt so sehr ärgern (rote Linie), als sie sich über einen Gewinn in gleicher Höhe freuen (grüne Linie). Die Prospect-Theorie drückt dies in der rechts abgebildeten Funktion aus. Sie wird als Wertfunktion bezeichnet.

Aus der Verlustaversion leitet sich auch die Erkenntnis ab, dass Menschen hohe Risiken eingehen, um Verluste zu vermeiden. Diese These ist inzwischen durch eine Vielzahl von Studien belegt worden.

Im ersten Kapitel meines Buches gehe ich auf die Prospect-Theorie ein und wende sie auf Adhärenzentscheidungen an. Ich zeige z. B., dass Patienten die erwünschten Wirkungen eines Arzneimittels (in der Regel unbewusst) als Gewinn interpretieren und die möglichen Nebenwirkungen als Verlust und welche Konsequenzen zur Verbesserung der Adhärenz sich daraus ableiten lassen. 

Kapitel 2: Wie Menschen Entscheidungen treffen

Im zweiten Kapitel des Buches gebe ich einen Überblick über den aktuellen Stand der Forschung zu der generellen Frage, wie Menschen Entscheidungen treffen. Der Homo Oecomomicus, der lange das Weltbild der Ökonomie bestimmt hat, müsste in der Lage sein, eine rationale Entscheidung auf Basis des Abwägens aller relevanten Optionen zu treffen. 

Tatsächlich gehen wir bei unseren Entscheidungen selten diesen langen und mühsamen Weg. Ich gehe auf die Gründe ein und zeige die wichtigsten Abkürzungen, die wir beim Entscheiden nehmen und wie sie uns häufig in die falsche Richtung führen. 

 

Kapitel 3:
Denkfehler im Umgang mit Arzneimittels

Die Verlustaversion ist eine typische kognitive Verzerrung, die zu falschen Entscheidungen im Umgang mit Arzneimittel führen kann. Sie ist aber bei weitem nicht die einzige. Im dritten Kapitel gebe ich einen Überblick über die wichtigsten Denkfehler, die alle kennen sollten, die das Adhärenzverhalten von Patienten beeinflussen wollen. Das sind in erster Linie die behandelnden Ärzte, aber das Buch ist auch ein Ratgeber für alle, die Informationen für Patienten erstellen oder Konzepte zur Verbesserung der Adhärenz entwickeln. Das Poster gibt einen Überblick über die wichtigsten Denkfehler, die zu Nonadhärenz führen. Es ist in den Formaten A1 (59,4 x 84,1 cm) und A2 (42,0 cm x 59,4cm) erhältlich. 

Kapitel 4: Ansätze zur Verbesserung der Adhärenz

Aus der Perspektive, dass Adhärenz eine Entscheidung des Patienten ist und verzerrte Wahrnehmungen und Denkfehler eine wichtige Ursache für Nonadhärenz sind, kann man effektive Ansätze zur Verbesserung der Adhärenz entwickeln. Solche Ansätze beschreibe ich im vierten Kapitel. 

Die erste Konsequenz, die sich daraus ergibt, ist, dass Ärzte die wichtigsten Denkfehler kennen sollten. Damit meine ich nicht nur die Denkfehler von Patienten. Auch Ärzte gehen im Kontext mit Adhärenz Denkfehlern auf den Leim, z. B. bei der Einschätzung der Grundeinstellung ihrer Patienten gegenüber Arzneimitteln oder dessen, was Patienten im Gespräch mit dem Arzt verstehen. 

Das Wissen über Denkfehler bietet die Chance, dass Therapiegespräche effektiver werden. Insofern liegt ein Fokus dieses Kapitels auf dem Thema „adhärenzfördernde Kommunikation“. Dabei berücksichtige ich auch den Gedanken, dass die MFAs in den Arztpraxen einen erheblichen Einfluss auf die Adhärenz – insbesondere von Langzeitpatienten – haben können, wenn man sie mit dem erforderlichen Wissen und den nötigen kommunikativen Kompetenzen ausstattet. 

Quellen:

1 Laufs U, Böhm M, Kroemer HK, Schüssel K, Griese N, Schulz M. Strategien zur Verbesserung der Einnahmetreue von Medikamenten. Dtsch Med Wochenschr 2011; 136: 1616-1621

2 https://www.aerztezeitung.de/Politik/Das-Milliardengrab-271005.html

3 Kato, P. M., Cole, S. W., Bradlyn, A. S., & Pollock, B. H. (2008). A video game improves behavioral outcomes in adolescents and young adults with cancer: a randomized trial. Pediatrics, 122(2), e305-317. doi:10.1542/peds.2007-3134

4 Croskerry P. The importance of cognitive errors in diagnosis and strategies to minimize them. Acad Med. 2003 Aug;78(8):775-80. doi: 10.1097/00001888-200308000-00003. PMID: 12915363.

5 Gustavo Saposnik / Donald Redelmeier / Christian C. Ruff / Philippe N. Tobler: „Cognitive biases associated with medical decisions: a systematic review.“ BMC Medical Informatics and Decision Making volume 16, Article number: 138 (2016

6 Bajaj S., „Confirmation and Anchoring Biases in Medicine“, 2020, „Doctor in Progress“ https://doctorinprogress.com/2017/07/23/confirmation-and-anchoring-biases-in-medicine/